Mein Haustier besteht aus 10.000 Einzelteilen

Ameisen als Haustiere?!

Ich werde häufig ungläubig angeguckt, wie man denn nur auf die Idee kommen könne, sich Ameisen zu halten. Doch wer Zeit und Liebe in seine Kolonie investiert, wird vieles erleben und hat immer was zu gucken.

Der Anfang

Wie bei jeder guten Tierhaltung steht am Anfang die Recherche. Was benötigt man an Ausrüstung, welche Tiere möchte man sich halten, wie sehen die Ansprüche der ersehnten Kolonie aus? Welche Ansprüche an Futter, Temperatur, Luftfeuchtigkeit werden gestellt und am wichtigsten: wie viel Platz wird später benötigt, um die Tiere angemessen beobachten zu können.
Wer sich dafür interessiert, kann viele Stunden mit Lesen im Internet verbringen oder sich direkt mit erfahrenen Haltern austauschen. Ich persönlich habe damals viel im Ameisenforum.de(1) gelesen und somit alles Wichtige für eine erfolgreiche Haltung gelernt.

Meine Kolonie - Messor structor

Zuerst einmal ein paar Eckdaten.

Lateinischer NameMessor structor
VerbreitungSüdeuropa, Nordafrika, Asien
HabitatSand- und Steppengebiete
Kolonieformpolygyn
KöniginGröße: 9,5 - 10,5mm
ArbeiterinGröße: 4 - 9,5mm
Farbedunkelbraun bis schwarz
NahrungSamen verschiedenster Gräser, Wildpflanzen und Insekten
Luftfeuchtigkeitca. 50%
Temperatur25- 30°C
Winterruhevon Ende November bis Februar bei 15°C
NestformErdnester unter Steinen oder kleinen Büschen
Koloniegründungclaustral
Koloniealterbis zu 25 Jahre
Koloniegrößemehrere 1000 Individuen
SchwarmflugSeptember und April/Mai

Wow, das ist erst einmal ganz schön viel und einige Begriffe benötigen bestimmt noch nähere Erläuterungen.

Körnerfresser

Bei der hier vorgestellten Ameisenart handelt es sich um Ernteameisen. Das bedeutet, dass, anders als bei den meisten anderen Arten, kein Honigwasser als Energiequelle angeboten wird, sondern Samen von verschiedenen Pflanzen als Ernährung dienen. Diese werden dann im Nest geknackt und anschließend zu Etwas verarbeitet, das sich Ameisenbrot nennt. Die so angelegten Vorräte sind lang haltbar und helfen der Kolonie auch dann zu überleben, wenn es nichts zu ernten gibt.

Diese Rasse ist polygyn

Eine einzelne Königin
Poly(mehrere) und gyn(Königin) lässt bereits erahnen, dass eine einzelne Kolonie mehrere Königinnen beherbergen kann und somit je nach Anzahl der Geschlechtstiere unterschiedlich schnell wächst. Auch dieses Merkmal unterscheidet Messor structor von vielen anderen Arten, die auf unserer Welt vorkommen. Die meisten Ameisen haben, wie bei Honigbienen, nur eine einzige Königin und wenn man versuchen würde, mehrere allein lebende Königinnen zusammen eine Kolonie gründen zu lassen, würden sie sich so lang gegenseitig bekämpfen bis nur noch eine von ihnen am Leben wäre oder auch keine ☹.

Claustrale Gründung

Nachdem der Schwarmflug der Geschlechtstiere erfolgreich beendet wurde, graben sich die Jungköniginnen im Erdreich ein und verbringen die ersten Wochen damit, ihre ersten Arbeiterinnen groß zu ziehen. Dabei wird die gesamte benötigte Energie aus der Verstoffwechselung ihrer nicht mehr benötigten Flugmuskeln gewonnen. Somit war es für die meisten Königinnen das letzte mal, dass sie das Sonnenlicht gesehen haben.

Die Arbeiterinnen sind stark polymorph?!

Sehr spannend und wunderschön zu beobachten. Es bedeutet, dass die Tierchen in ihrer Länge sich stark unterscheiden und dabei von 3 bis zu 10 mm groß werden können.

Lebenserwartung: 25 Jahre

Ihr habt richtig gelesen. Die einzelne Arbeiterin wird zwar bei weitem nicht so alt, da sind es eher ein bis zwei Jahre, aber die Kolonie ist so lang aktiv, wie die Königinnen leben und einige Kolonien wurden in Gefangenschaft bereits so lange gehalten. Deswegen muss man sich zu Beginn auch sehr genau überlegen, ob man diese Verantwortung übernehmen möchte. Denn gerade bei Exoten ist ein Auswildern strengstens verboten. Falls man sich aber doch überschätzt haben sollte, gibt es viele Halter da draußen, die einem eine gesunde Kolonie gerne abnehmen. Viele Ameisenforen bieten eine Börse an, deswegen gibt es keine Notwendigkeit seine Schützlinge zu töten, wenn man die Kolonie nicht mehr haben möchte.


Meine eigene Kolonie

Angefangen habe ich mit dieser Gattung im Jahr 2009. Erworben habe ich sie online von Ants-Kalytta (2). Wer seine bevorzugte Art nicht vor seiner Haustür beim Schwärmen erwischt hat in zahlreichen Online-Shops die Möglichkeit die gesuchte Ameisengattung zu erwerben.

Alles fängt klein an

Jeder Halter träumt von einer großen Kolonie, bei der es immer was zu sehen gibt und nie Langeweile aufkommt. Jedoch muss sich jeder Neuling am Anfang sehr lange gedulden. Meine Kolonie begann mit 3 Königinnen und ca. 12 Arbeiterinnen. Alles, was sie hatten, war ein Reagenzglas mit etwas Wasser und ein paar Körnern als Futter. Über die Jahre wurden es dann immer mehr Arbeiterinnen. Am Anfang nur ein paar, mittlerweile besteht allein die Brut aus mehreren hundert Puppen, Larven und Eiern. Wie viele Ameisen es genau sind? Das kann ich nicht sagen, aber zu Spitzenzeiten belaufen sich meine Schätzungen auf mehrere tausend Tiere.

Kleine Angsthasen oder doch große Helden?

Jede Kolonie hat ihre eigene Persönlichkeit und sie weiß sehr genau, aus wie vielen Individuen sie besteht. Bei kleinen Kolonien reicht ein schiefer Blick und alle Ameisen, die gerade außerhalb des Nestes herumstrolchen, sind schneller verschwunden als man gucken kann. Doch mit der Zeit wird die Kolonie groß und die Kampfbereitschaft wächst immer weiter an. So kann das Reinigen des Terrariums (Formicarium bei der Ameisenhaltung) schon mal in einen kleinen Krieg ausarten. Doch zu befürchten hat man nicht viel. Die Tierchen besitzen kein Gift und sie können nicht durch die Haut hindurch beißen. Es krabbelt im Grunde nur aufgeregt durch die Landschaft.

Ausbrüche – Ameisen in der Wohnung

Es gibt viele Möglichkeiten das Formicarium Ausbruchssicher zu gestalten. Ein dichter Deckel mit einem feinen Gitter für die Belüftung verhindert das Ausbrechen. Talkumpuder oder wahlweise Olivenöl an der Glasscheibe behindern die Tiere zusätzlich beim Erklimmen der Seitenwände. Die kleinen Racker können vergleichsweise schlecht auf Glas laufen und wenn sie es doch bis ganz nach oben geschafft haben sollten, rutschen sie durch den Ölfilm oder das Talkum ab und plumpsen nach unten.

Und wenn sie doch entkommen?!

Passiert, aber kein Grund zur Sorge! Wenn zu viel Staub auf dem Öl ist und die Kolonie gerade die große Erkundung der heimischen vier Wände startet, gilt es Ruhe zu bewahren. Die Tiere sind nur auf der Suche nach Futter und sammeln alles ein, was klein und schmackhaft ist. So kann es passieren, dass sie voller Stolz die Brotkrümmel aus der Küche nach Hause schaffen und anschließend alle ihre Kolleginnen mitbringen, um den Rest auch noch zu holen.
Alle Tiere einzeln einzufangen macht wenig Sinn, also einfach nur die Ölschicht erneuern und nach ein bis zwei Stunden sind alle wieder an ihrem Nest angekommen. Großer Vorteil: einen Staubsauger muss man an solch einem Tag nicht mehr benutzen 😉.


(1) Ameisenforum.de
(2) Ants-Kalytta Online Shop

Update

Auf Wunsch von @redenz habe ich noch einmal eine Foto vom aktuellen Formikarium hinzugefügt.
Die Steine dienen der Bewässerung des Nestes, denn über die 50 ml Spritze kann ich Wasser in die Ytong-Steine einlassen und über Diffusion dringt das Wasser dann ins Erdreich ein.


Mir ist aufgefallen, dass man nach 10 Jahren Ameisenhaltung sehr viel dazu schreiben kann und ich musste mich kurz fassen, damit das hier nicht in einem 10-Seiten-Roman endet. Wenn ihr mehr zu dem Thema wissen möchtet, stellt eure Fragen unter diesem Blogeintrag oder schreibt mir über den D-A-CH Discord eine PM. Ich freue mich über jedes Feedback und/oder Interesse an diesem Thema.


Auch liebe grüße an @theaustrianguy, da er mich dazu gebracht hat, eine Woche lang zu überlegen, wie ich seine Interaktive Neulingschallenge 2.0 unterstützen kann.

Euer @joe.backpacker

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